Boris Becker hat seit Mitte der achtziger Jahre in seiner künstlerischen Arbeit ein weites
Spektrum an Themenkomplexen demonstriert. Seine Reihe von Bunkerfotografien
ist mit 700 Aufnahmen die umfangreichste Gruppe, bei der er auf nahezu
enzyklopädische Weise deutsche Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg
aufgenommen hatte. Ihr folgte eine Serie mit Aufnahmen von überwiegend
unspektakulären Wohngebäuden. Die Konsequenz, an einer Aufnahme-Methode
festzuhalten, sowie die Fülle von Fotos, mit der er sich diesen Themen
widmete, deuten auf ein seiner Fotografie vorgelagertes Konzept hin, ganz
so, wie es seine Lehrer Bernd und Hilla Becher mit ihrem reichhaltigen
Werk vorgegeben hatten.
Bei diesen frühen Werkreihen führte Boris Becker eine strenge
Objekt-Fotografie vor, die seine künstlerische Herkunft aus der Fotografie-Klasse
der Düsseldorfer Kunstakademie noch deutlich erkennbar machte.
Die Wohngebäude, bei denen er erstmals in Farbe fotografierte, zeigten
einen erweiterten, mehr spielerischen Umgang mit dem Medium. Details,
die im Moment der Aufnahme nicht vordergründig aufgefallen waren,
werden im Abzug nun wichtig und beleben die Bilder auf erzählerische
Weise. Dies können Details auf Balkonen sein, die erst durch die
eingehende Betrachtung des Fotos ihre Bezüge zum Bildganzen entwickeln,
oder miteinander korrespondierende Farbflächen, wie sie auf Häusern
und in den Straßen vorkommen.
Seit den frühen neunziger Jahren widmet sich Becker einem Thema,
das er "Konstruktionen" nennt. Er fotografiert Baugerüste,
die Brückenpfeiler ummanteln, eine über ein weites Tal gespannte
Autostraße oder eine im Aufbau befindliche Achterbahn. Diese alltäglich
anmutenden, scheinbar gewöhnlichen Motive sind exakt komponierte
Darstellungen. Die großformatigen Bilder, alle mit der Plattenkamera
aufgenommen und bestechend in ihrer Schärfe und in der Brillanz der
Abzüge, erheben diese Baustellen- und Jahrmarktkonstruktionen zu
eigenständigen Objekten mit skulpturalem Charakter. Die Fotos sind
der Versuch, das alltägliche Erleben technologischer Formen als ästhetisch
wahrnehmbare plastische Bildwerke erscheinen zu lassen.
Strikt, konsequent und mit wenig Improvisation, wie schon in den früheren
Werkkomplexen, zeigt er in dieser neuen Reihe, wie veränderungsfähig
seine Sichtweise und seine programmatische Vorgabe sein können. Nicht
mehr die analytische, auf Exaktheit der beschreibenden Wiedergabe gerichtete
Fotografie ist sein Anliegen. Becker zeigt nun das Skulpturale seiner
Objekte. Er erhebt diese, einer reinen Funktionalität dienenden Konstruktionen
zu ästhetischen Gebilden.
Dabei wählt er einen Ausschnitt, bei dem ein großzügiger
Bildentwurf die Anlagen in der Fläche so verspannt, daß sie
ihre dominante Position behaupten. Die Bilder sind menschenleer und ermöglichen
so eine völlige Konzentration auf das fotografierte Objekt. Becker
läßt den Betrachter sozusagen mit Ihnen allein.
Nun könnte man an die "anonymen Skulpturen" der Bechers
denken, die ihre technischen Bauwerke so nannten . Im Unterschied zu seinen
Lehrern fotografiert Boris Becker jedoch überwiegend Objekte, die
nur kurze Zeit existieren. Die Konstruktionen stehen nur solange, bis
sie ihre Funktion erfüllt haben. Die Achterbahn wird abgebaut, sobald
das Fest vorüber ist, das Gerüst unter der Kölner Zoobrücke
(ABB.1) verschwindet, sobald die Sanierung abgeschlossen ist usw.
Anders als bei der Bunkerserie, als Becker Schutzanlagen ausfindig machte,
die zum Teil mit verblüffend reichen Ornamentierungen ausgestattet
waren, tragen die heute von ihm fotografierten Anlagen keinerlei Dekor.
Baugerüste und Achterbahnen, Staffagen unserer Städte, prägen
das Bild unseres Alltags. Sie sind reine Funktionskonstruktionen, kurzlebig
und vergänglich. Beckers Kunst will uns dieses Gewohnte, das uns
alltäglich ist und das wir darum leicht übersehen, ins Bewußtsein
bringen, es in neuem Sinne sichtbar, wahrnehmbar machen. Hier liegt für
den Künstler der Reiz, ihnen durch die Fotografie einen eigenständigen
und ästhetischen Wert zu verleihen.
In "Achterbahn" wird die Bildfläche durch die labyrinthische
Anordnung der zahllos verschlungenen und verzweigten Schienenstränge
dynamisiert. (ABB.2)
Der Versuch, Fotografien visuell zu erschließen, führt unmittelbar
zu der Frage nach der Übertragung von Realität ins fotografische
Bild. Eine Achterbahn schafft jedoch eine künstliche Realität.
Die Wahrnehmung der Fahrgäste wird durch eine irreale Bewegung und
eine hohe Geschwindigkeit stark verändert. Becker läßt
diese Achterbahn in seinem Foto erstarren und bannt sie in einen Zustand,
den selbst diese kurzzeitige Anlage nur wenige Stunden kennt. Sie befindet
sich nämlich im Aufbau, ist unvollendet und halbfertig. Das Thematisieren
von Zuständen aus verschiedenen Zeitphasen und die temporäre
Existenz sind überwiegend die Intentionen für sein künstlerisches
Programm.
So hat er bei einer anderen Aufnahme, bei der er 1993 von einem erhöhten
Standpunkt aus eine Brückenbaustelle fotografierte, so lange gewartet,
bis der Rhein über die Ufer tritt und das Hochwasser die Pfeiler
(Abb.3) umspülte .
Wie eine schwimmende Baustelle erscheint uns diese Konstruktion, die nicht
eingebunden ist in ihren urbanen Umraum. Der klobige Gerüstkörper
wirkt sperrig und isoliert, er steht weit ab vom vitalen Leben der Kölner
Innenstadt, die sich im Hintergrund zu erkennen gibt. Das kühle Kolorit,
das sich im blau-grauen Dunst des Horizonts, sowie im Blau der Stahlkonstruktion
findet, unterstützt diese Bildwirkung.
Bewußte Rückgriffe und Anlehnungen an bereits fotografierte
Themen zeigen den souveränen Umgang und das eigenständige Profil
Boris Beckers.
Dies gilt auch für Themen, die Becher-Schüler aus der Generation
vor ihm aufgegriffen hatten.
So hat Andreas Gursky sechs Jahre vor Becker an derselben Stelle unterhalb
der Kölner Zoobrücke fotografiert. In seinem Foto blicken Passanten
mit scheinbar ziellosem Blick in die Ferne, sie verharren am Ufer, das
eine Grenze bildet zwischen der "Zivilisation der Betonpfeiler"
und der Natur in Gestalt des Flusses. Becker fotografiert die Stelle neu
und macht sie sich für sein Thema der "Konstruktionen"
zu Nutze. Er zeigt eine steil in die Bildtiefe vorstoßende Stahlkonstruktion,
deren Fläche eher an einen Flugzeugträger erinnert, als an eine
zivile Baustelle. Die konstruktive Energie der von Becker fotografierten
Technik findet hier ihren sichtbaren Niederschlag.(Abb.1)
Die Brückenpfeiler markieren die seitlichen Bildränder und unterstützen
die strenge symmetrische Komposition und die kühle Stimmung, die
von diesem Foto ausgeht. Die Betonstützen, die auch in Gurskys Fotografie
eine zentrale Bedeutung hatten, sind inzwischen mit bunten Farben besprüht.
Zu den blau-gelben Zeichen am linken Pfeiler sind in Beckers Bild noch
weitere bunte Kritzeleien hinzugekommen. Sie sind Spuren von Menschen
in einem menschenleeren Bild. Die scheinbar starre Betonlandschaft zeigt
auf diese Weise ihr Eigenleben.
Der große Reiz an Beckers Fotografien liegt darin, daß er
die Objekte durch die strikte Isolierung geheimnisvoll erscheinen läßt,
sie uns entfremdet, um uns neugierig auf sie zu machen, damit wir sie
schließlich mit neuer Aufmerksamkeit, gleichsam mit anderen Augen
sehen.
1 Bernhard und Hilla
Becher, Anonyme Skulpturen. Eine Typologie technischer Bauten. Düsseldorf
1970
2 Persönliche Mitteilung des Künstlers bei meinem Besuch in
seinem Kölner Atelier
am 10.8.1995
3 Abbildung in: Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.), Distanz und
Nähe. Fotografische Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, Andreas
Gursky..., Stuttgart 1992, S.39
4 Helga Meister, Fotografie in Düsseldorf. Die Szene im Profil, Düsseldorf
1991, S.177
5 Zur künstlerischen Fotografie moderner Technik vgl. Wolfgang Born,
Zum Stilproblem der modernen Fotografie. In: Fotografische Rundschau 1929
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