In seinen photographischen
Arbeiten der vergangenen Jahre hat sich Boris Becker Themenbereichen zugewandt,
die sich mit den Polaritäten städtisch geprägten Lebensraums
und agrarkulturellen, natürlichen Landschaftsformen beschäftigen.
Grundsätzlich einer dokumentarischen Auffassung von Photographie
verpflichtet - versteht man dokumentarisch hier zunächst einmal im
Sinne einer ästhetisch nicht manipulierenden Bildfindung - lassen
sich hinter Beckers Aufnahmen von Siedlungs- und Wohnhausblöcken,
oder seinen Darstellungen von Konstruktionsbauten unterschiedlichster
Zweckbestimmung, zwar gesellschaftliche Zusammenhänge erkennen, verweisen
die Arbeiten des ehemaligen Becher Schülers darüber hinaus aber
auf eine künstlerische Vorgehensweise, die in formalästhetischen
Überlegungen ihren Ansatz sucht. Skulpturale, strukturelle und farblich
abstrahierende Eigenwerte dominieren die Bildthemen Beckers, deren Präsentationsform
als meist großformatige Tableau-Bilder oder kontextuell aufeinander
bezogene kleinere Einzelbilder, ebenfalls durch ästhetische Überlegungen
motiviert erscheint.
Die in den 80er Jahren entstandene Werkgruppe der "Hochbunker"
läßt dies als Reihe ebenso erkennen, wie auch die "Häuser"
und "Konstruktionen" Beispiele dafür sind, wie der in Köln
lebende Künstler Fragestellungen ästhetischer Abstraktion eher
in monumentalen Einzelbildern, als in Form einer seriellen, rein dokumentarischen
Enzyklopädie nachgeht.
Auch die kompositionell auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema der
Landschaftsdarstellung verweisende Werkgruppe der "Reihenhäuser"
sei in diesem Zusammenhang formalästhetischer Überlegungen genannt.
Lediglich die Numerierung der Arbeiten als fortlaufende Zahlenreihung
und die allgemeine Gattungsbetitelung als eben "Hochbunker",
"Häuser", "Konstruktionen" oder "Felder",
erinnern an eine Inventarisierung der Arbeiten im Sinne eines anonymen,
enzyklopädischen Bestandskataloges.
Die Auseinandersetzung um Aspekte von Natur und urbanisierter Kulturlandschaft,
wie es die schon erwähnten "Reihenhäuser" als Horizontlinie
eines Wiesenvordergrundes, der eigentlich das Bild dominiert, erkennen
lassen, wurde bei der Werkgruppe "Felder", zu einem eigenständigen,
auf die Agrarkultur bezogenen Thema weitergeführt. Hier noch mehr
konzentrierte sich Becker auf formalästhetische Gesichtspunkte einer
photographisch dokumentierenden Wahrnehmung, die im Vergleich zu den Architektur-Themen,
in subtilerer Weise die Spuren menschlicher Aneignung erkennen lassen.
Barbara Hofmann-Johnson:
Welche Erwartungen hattest Du vor dem Hintergrund dieses bisher entstandenen
Werkes für die Zeit des Stipendiums in der Villa Massimo in Rom -
oder galt für Dich angesichts der geschichtlichen Dichte der Stadt
das Gleiche, wie schon für den exemplarisch zu nennenden Italienreisenden
deutscher Literaturgeschichte per se, Goethe, der schrieb, daß man
sich nur in Rom auf Rom vorbereiten könne ?
Boris Becker:
Außer, daß ich die Stadt kennenlernen und die Sprache etwas
studieren wollte, bin ich eigentlich ohne konkrete Pläne letztes
Jahr nach Rom gekommen. Ich hatte auch keine exakt umrissenen Vorstellungen
von meinen Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Villa Massimo, so daß
ich mich, wie Du auch erwähnst, erst in Rom auf Rom vorbereiten wollte.
Barbara Hofmann-Johnson:
Inwieweit bist Du Deinen bisherigen Themenbereichen verhaftet geblieben,
und inwieweit sind Aspekte hinzugekommen ?
Boris Becker :
Ich habe sehr schnell festgestellt, daß die Stadt selbst, von einigen
Ausnahmen abgesehen, kein direktes Thema für meine Arbeit darstellen
konnte. Ich hatte mich schon in Deutschland seit geraumer Zeit nicht mehr
mit dem urban geprägten Lebensraum beschäftigt.
Also habe ich versucht im Bereich der "Felder" Reihe in der
unmittelbaren Umgebung Rom's weiterzuarbeiten. Neben den landschaftlichen
Unterschieden Mittel- und Südeuropas, kam als weiterer Faktor das
völlig andere Licht Italiens hinzu, das gerade im Sommer tagsüber
sehr hart sein kann und somit schwierig einzusetzen ist.
Barbara Hofmann-Johnson:
Welche Arbeiten sind entstanden ?
Boris Becker :
Neben den Arbeiten, die ich aus dem"Felder" Zyklus heraus entwickelt
habe, sind auch eine Reihe Arbeiten entstanden, die sozusagen "en
passant" aufgenommen wurden und die keiner bestimmten Werkgruppe
zuzuordnen sind.
Barbara Hofmann-Johnson:
Die Tradition der "Deutschen Akademie - Villa Massimo", die
von dem deutschen Kaufmann Eduard Arnhold zur Künstlerförderung
Anfang dieses Jahrhunderts gegründet wurde, ist eng verbunden mit
der Italien- oder Reisesehnsucht der Romantiker und Spätromantiker
und dem Ideal des Bildungsreisenden, wie er ebenfalls im 19.Jahrhundert
seine Typisierung fand.Gab es Einflüsse für Dich in dieser Hinsicht
für die Beschäftigung mit dem Thema "Felder" als Beschäftigung
mit der Umgebung von Rom ? Du sprachst einmal von Deinem Bewußtsein
um die bestehende Literatur und Deine zeitgenössische Variante einer
Bildsprache mit der "Bildungsbürgerkamera".
Boris Becker:
Ich hatte vor meinem Aufenthalt in der Villa Massimo eine eher diffuse
Vorstellung von der römischen Campagna, wie sie uns die Literatur
und Malerei des 19. Jahrhundert übermittelt hat. Diese Campagna,
abgesehen davon, daß sie größtenteils sowieso als Idealtypus
dargestellt wurde, existiert nicht mehr; sie ist nach dem II.Weltkrieg
weitgehend durch Zersiedelung und Straßenbau zerstört worden.
Mir wurde daher im Verlauf meiner Arbeit sehr schnell klar, daß
ich nicht ohne genaueres Wissen in der Gegend herumfahren konnte, um zu
arbeiten, wie es in der vergleichsweise archäologisch und kunstgeschichtlich
weniger "belasteten" Landschaft möglich ist. Parallel zu
meiner Arbeit begann ich mich tiefer in die Thematik der Umgebung Rom's
hineinzulesen und habe mir Fahrtziele gesetzt, die für mich in erster
Linie von kunsthistorischem Interesse waren.
Dieser Aspekt eines "Bildungsbürgertums", das heißt
die Existenz eines tiefen Interesses und eines bestimmten Wissens um die
Dinge, nehme ich gerne für mich in Anspruch. Allerdings bewerte ich
den Begriff des "Bildungsbürgertums" und damit verbunden
der "Bildungsbürgerkamera" durchaus ambivalent. Meines
Erachtens hat es etwas regelrecht kolonialisierendes, sich bestimmte "Sehenswürdigkeiten"
mittels der Photographie aneignen zu wollen, sie mit nach Hause zu nehmen.
Ich habe immer versucht zu vermeiden, Motive oder Objekte für eine
Arbeit in Betracht zu ziehen, die von sich aus eine kunsthistorische oder
archäologische Bedeutung in sich tragen. So haben auch mein neu gewonnenes
wissen und die persönlichen Erfahrungen, die ich in Rom gemacht habe,
sicher in meinem Unterbewußtsein etwas verändert, aber nicht
meine Bildsprache vor Ort nachhaltig domestiziert.
Barbara Hofmann-Johnson:
Die Werkgruppe der im Katalog abgebildeten Arbeiten ist mit "8 x
10" überschrieben. Was bedeutet dies ?
Boris Becker 8 x 10 inch ist die englische Maßeinheit für das
Negativaufnahmeformat, mit dem ich auch schon in Deutschland angefangen
habe zu arbeiten. Es entspricht ungefähr dem Maß 20 x 25 cm.
Die Arbeit mit diesem Aufnahmeformat ergibt nicht nur eine gesteigerte
Schärfe und ein höheres Auflösungsvermögen. Für
mich bedeutete es in erster Linie den Einsteig in das sogenannte "Kontaktabzugsformat".
Bei dieser Technik wird der Bildausschnitt des Motivs, den ich zum Zeitpunkt
der Aufnahme auf der Mattscheibe der Kamera festlege, ohne Ausschnittveränderung
eben über Kontakt Negativ-Fotopapier "abgezogen". Die Werkabbildungen
in diesem Katalog sind dementsprechend in diesem Format 1 x 1 gedruckt.
Auch bei einer späteren Großvergrößerung wird keine
Ausschnittsveränderung mehr vorgenommen. Im Grunde ist dies eine
Technik, die auf die Ursprünge der Photographie im 19.Jahrhundert
verweist, als es noch keine Vergrößerungen gab. Für mich
war es sehr interessant mit diesem Schein einer "Photographie"
pur zu arbeiten.
Barbara Hofmann-Johnson:
In ihrem Untertitel bezeichnest Du die Arbeiten mit "Bilder".
Dies läßt an die Beziehungen zu "Tableau-Bild" denken
und entspringt damit eigentlich einer Bezeichnung aus dem Bereich der
Malerei. Was bedeutet der Begriff für Dich vor dem Hintergrund eines
Bewußtseins um das idealisierte Landschaftsbild als Topos der Kunstgeschichte
- wie siehst Du in diesem Zusammenhang Deine Beziehungen zu Aspekten der
medientheoretisch viel diskutierten Auseinandersetzung um die Photographie
als ein die Wirklichkeit wie auch immer repräsentierendes Medium
?
Boris Becker :
Mir ging es in meinen Arbeiten nicht um eine wirklichkeitsgetreue Abbildung
von Natur und Landschaft. Ich bin auch nicht der Überzeugung, daß
die Photographie zu einer objektiven Darstellung von dem, was wir Realität
oder Wirklichkeit nennen, in der Lage ist. Ich finde es nur sehr reizvoll,
so zu tun, als ob es so wäre und mittels der ureigenen Gesetze der
Photographie ihre Unfähigkeit zur objektiven Darstellung zu offenbaren.
Bei meiner Vorgehensweise würde jeder allerdings das Gegenteil vermuten;
die Arbeit mit der Großformatkamera im Format 8 x 10 inch, die eins
zu eins Wiedergabe über Kontaktabzug im Katalog und das Vergrößern
der Arbeiten auf ca. 160 cm x 220 cm. Dennoch ist dem Ganzen an objektiver
Information über das "Abgebildete" nichts Wesentliches
zu entnehmen. Daraus ergibt sich für mich fast zwangsläufig
der Begriff "Bilder", da ich mehr mit den Problemen einer Bildfindung
über Ideen an Farben, Flächen und Strukturen zu schaffen habe,
als mit der Dokumentation einer scheinbaren Realität.
Barbara Hofmann-Johnson:
Was bedeutet für Dich ein Thema wie Natur - das ja bei aller Abstraktion
und formalästhetischer Überlegung in den Photoarbeiten Grundlage
ist - heute ?
Boris Becker:
Zunächst betrachtet hätte ich für meine Arbeit sicher auch
Asphaltflächen benutzen können. Ich habe allerdings bereits
früher versucht, diese Thematik der Farbflächen und Strukturen
im Bereich der Architektur zu behandeln. Der Schritt in die Natur entfernt
sich indes gar nicht so weit, da es sich fast ausschließlich um
kulturell ge- oder benutzte Natur handelt. So gesehen und sicher auch
angesichts der heutigen ökologischen Probleme, existiert Natur für
mich nicht singulär, sondern immer im Kontext zu einem wie auch immer
kulturell geprägten Lebensraum.
Barbara Hofmann-Johnson:
Inwieweit siehst Du Dich in der Tradition der Becher-Schule als einer
am dokumentarisch Konzeptuellen orientierten Auffassung von Photokunst
und inwieweit siehst Du Dich hier losgelöst ?
Boris Becker :
Wenn man so will, ist mein theoretischer Arbeitsansatz ein konzeptueller,
allerdings ein grundlegend anderer, als man ihn gemeinhin dem, was man
so ''Becher-Klasse' nennt, zuschreiben würde. Selbst bei meinen früheren
Arbeiten, die denen der Bechers formalästhetisch am nächsten
stehen, der "Hochbunker" - Serie, habe ich eine Architektur
untersucht, die ihre Funktion verhüllt, die eine Scheinarchitektur
kreiert, die ihre Voraussetzungen negiert, während bei den Architekturen
der Bechers die jeweilige Funktion die Erscheinungsform prägt und
bestimmt.
Meine alltägliche Vorgehensweise, meine jeweilige Entscheidung etwas
aufzunehmen ist eine, wenn ich das so sagen darf, eher intuitive, die
sich insofern auch immer eher am Einzelbild als an einer Serie, einer
Typologie orientiert.
Barbara HofmanJohnson :
Welche Pläne hast Du für die Zeit nach Deinem Rom Aufenthalt,
der ja - jedenfalls sofern es das Stipendium in der Villa Massimo betrifft
- im Sommer zu Ende geht ?
Boris Becker :
Auch hier gilt für Köln als "die nördlichste Stadt
Italiens" wie für Rom, daß man sich nur in Köln auf
Köln vorbereiten kann.
thank you for your interest